Predigt an Neujahr,                                 Schorndorf, 1. Januar 2021
über die Jahreslosung Lukas 6,36          Pfr. Thomas Fuchsloch

Gnade sei mit uns - und Friede, von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus,
der da ist und der da war und der da kommen wird.
Amen!

Bild: Karin Wenger-Schnaible

Liebe Gemeinde,
an der Schwelle zum neuen Jahr verbindet uns eine ganz große Sehnsucht, nach baldiger Erleichterung aber auch Bewahrung. Entsprechend klingen auch die Wünsche, die wir uns von Herzen fürs neue Jahr zusprechen. Die Jahreslosung für das Jahr 2021 ist allerdings kein Wunsch, sondern eine Aufforderung und zugleich ein Versprechen. Beides - Aufforderung und Versprechen! Hören wir einmal genau hin.

Christus spricht: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist" (Lukas 6,36).
Das ist mehr nur ein Wunsch. Und es ist auch kein Apell - so nach dem Motto:
“ Seid nett zueinander!” Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!

Das ist eine Einladung von Jesus, dass wir uns von unserem himmlischen Vater beschenken lassen mit dem, was unser Miteinander braucht - ja was ein Miteinander gelingen lässt! Da in diesem einen Satz gleich zweimal die Barmherzigkeit anklingt, möchte ich mich in Sachen Barmherzigkeit einmal auf Spurensuche begeben.Was ist eigentlich Barmherzigkeit?
Nun - sie ist zunächst etwas anderes als Gnade. Denn die wird in der Heiligen Schrift immer wieder daneben gestellt: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte!“ Barmherzigkeit gehört also neben Gnade und Geduld, Güte und Freundlichkeit, Vergebung und Versöhnung zur Großfamilie der Liebe Gottes.

Was aber zeichnet gerade die Barmherzigkeit aus?
Das Gegenteil dürfte wohl Hartherzigkeit Gleichgültigkeit, Starrsinn, Kälte und Egoismus sein. Barmherzigkeit aber hat es mit dem Herz zu tun: Dass man sich etwas zu Herzen nimmt und etwas von Herzen schenkt. Auf meiner Spurensuche bin ich bei einem Gleichnis hängen geblieben, das Jesus erzählt hatte:
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.
Dieser Samariter war nicht mit sich selber beschäftigt und auch nicht mit dem, was andere auch noch von ihm erwarteten. Er sah einfach die Hilflosigkeit dessen, der unter die Räuber geraten war und es jammerte ihn; ja er erbarmte sich seiner! Er hielt inne und beugte sich, half dem Hilflosen auf, und ging erst weiter als die Versorgung gesichert war, wohl wissend, dass er nicht vergessen wollte, allen noch auftauchenden Mangel weiterhin zu beheben. Und das alles ohne Rücksicht auf Äußerlichkeiten; schließlich war er ja ein Samariter der einem Juden geholfen hat. Die Barmherzigkeit beugt sich, um vorbehaltlos dem Liebe zu schenken, der ohne Hilfe keine Chance gehabt hätte.Doch bei meiner Spurensuche bleibe ich nochmals in den Evangelien hängen, genau genommen auf dem Hügel Golgatha. Da wurden mit Jesu zwei Verbrecher hingerichtet. Deren Situation beschrieb einmal einer folgendermaßen: “Sie hatten ein verpfuschtes Leben hinter sich, den Tod am Kreuz vor sich, die glühende Sonne über sich, den spottenden Pöbel unter sich, die rasenden Schmerzen in sich, und den Heiland der Welt neben sich. Der eine verharrte in seiner Unbarmherzigkeit. Der andere aber öffnet sich der Barmherzigkeit Jesu und erfuhr im letzten Moment das, was er schon viel früher gebraucht hätte. Er erlebte die Barmherzigkeit unverdient weil Jesus sich selbst unter dessen Schuld beugte um ihn zu retten. Die Vergebung löschte die Schuld. Die Barmherzigkeit heilte das verwundete Herz. Die Gnade krönte ein verdammtes Leben einfach aus Liebe. Auf meiner Spurensuche in Sachen Barmherzigkeit bin ich dann noch bei Martin Luther hängen geblieben. Aus den Zeiten, als die Konfirmanden noch den Katechismus auswendig lernten, da könnte einigen von uns die Erklärung zum 1. Glaubensartikel noch im Ohr klingen:„Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält, ....!“ Und dann heißt es gegen Ende: „Und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit ohn all mein Verdienst und Würdigkeit.“ Gottes Barmherzigkeit ohn all mein Verdienst und Würdigkeit! Ein Geschenk rein aus Liebe; nicht weil es Gott nötig hätte; auch nicht weil wir es verdient hätten; sondern rein aus Liebe beugt ER sich und sorgt sich um uns!

Doch nochmals zurück zum Anfang von Luthers Erklärung: 
„Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen.” Als die jüngere Schwester hörte, wie die ältere es auswendig lernte, da stürmte sie zur Mutter in die Küche: „Mama, ich kann auch konfirmiert werden - denn das kann ich auch schon auswendig: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, samt allen Reparaturen!“ Eine kleine Verwechslung: Reparaturen anstatt Kreaturen! Eine kleine Verwechslung - allerdings mit Tiefgang! Weil wir nämlich Reparaturen brauchen - Gott muss so manches reparieren, wenn unser Miteinander gelingen soll. Da ist so manches was kaputt geht, sowohl im Umgang mit unsere Schöpfung als auch im Umgang untereinander - und im Umgang mit uns selbst. Wir machen so manches kaputt, ohne es zu ahnen, ohne es zu wollen. Manches scheint großartig und wir sehen es nicht, wie es uns zum Schaden ist. Wir sehen die Strahlung nicht. Wir sehen oft die Mühen unserer Landwirte nicht. Wir sehen oft die verzweifelte Lage von Geschäftsleuten nicht oder die Politiker, die um Lösungen ringen.
Und ich frage uns: Wie oft kritisieren wir? Kritisieren zurecht, wenn wir etwas entdeckt haben, was nicht richtig ist - was schief läuft!  Aber wie barmherzig sind wir dabei, indem wir für die beten, die wir kritisieren? Beten wir für Entscheidungsträger? Beten wir für Politiker - oder kritisieren wir sie nur?
Beten wir für sie um ein weises und gehorsames Herz, ganz im Sinne des König Salomo oder im Sinne des Propheten Jeremia im 29. Kapitel: „Suchet der Stadt Bestes, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl.“ O ja - da ist so manches was kaputt geht, im Umgang mit der Schöpfung, im Umgang untereinander- ja selbst unser Umgang mit Gott! Könnte es sein, dass wir Ihm so manchen Anlass zur Enttäuschung geben? Das wäre schlimm, wenn da nicht die Reparaturen wären aus lauter Liebe und Barmherzigkeit. Gottes Herz schlägt für uns. Ob es wohl manchmal schneller schlägt, weil wir IHM Anlass dazu geben?Er hat sich für uns entschieden, will und Barmherzigkeit schenken um uns immer wieder aufzuhelfen. Doch nicht nur um uns aufzuhelfen, sondern wir sollen Seine Barmherzigkeit weiterschenken. Es ist also eine Beziehungssache! Gottes Liebe will uns so einbeziehen, dass wir untereinander etwas davon erleben:Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Das ist bei Gott nichts Einmaliges, das begegnet uns bei Gott immer wieder! Lasst uns lieben, denn ER hat uns zuerst geliebt! Vergib und unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Die Initiative geht immer zuerst von unserem himmlischen Vater aus. Er will uns beschenken und immer wieder neu dazu verhelfen. Und das ist auch gut so, weil unsere Kraft viel zu schnell zu Ende ist. Genau das gehört zu Gottes Barmherzigkeit, dass Er sich nicht enttäuscht abwendet, dass ER uns nicht aufgibt, auch wenn wir IHM immer wieder Anlass geben, womöglich aufzugeben - aber ER macht es nicht!

Was aber macht das mit uns? Was machen wir daraus - wenn ER nicht aufgeben will? Nun - egal was das kommende Jahr bringen wird; egal was alles misslingen wird; egal was uns herausfordern wird?! ER ist immer der Erste, der bereit ist, der wartet, dass ER uns helfen darf; auch helfen darf, um anderen zu helfen! Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Wir sollten so barmherzig zu uns selber sein, dass wir Seine Barmherzigkeit zulassen und diese weitergeben, auch wenn wir uns dabei beugen müssen.Und sollten wir beim Beugen umfallen, dann hilft ER uns wieder auf. Lasst uns lieben, denn ER hat uns zuerst geliebt. Lasst uns vergeben, wie ER uns vergibt. Und lasst uns barmherzig sein, wie auch unser Vater barmherzig ist. Was für ein Versprechen gibt Er uns doch:
-    Mit Seiner Barmherzigkeit können wir in ein neues Jahr ziehen,
-    mit Seiner Barmherzigkeit können wir in Richtung Ewigkeit ziehen 
-    und mit Seiner Barmherzigkeit kann ein Miteinander immer wieder neu gelingen.
Amen.